Ulli zieht mit 15 Jahren aus einem Dorf in die Großstadt Wien. Dort erliegt sie den Verlockungen der Großstadt. Partys und die Punkszene bestimmen ihren Tagesablauf.
So grenzt sich Ulli immer mehr von ihrem vorherigen Leben und damit von ihrer Familie ab. Sie lernt Edi kennen, die schon einmal versucht hat, über die grüne Grenze nach Italien zu gelangen. Doch der Versuch scheiterte. Als Bardamen versuchen sie Geld zu verdienen, um einen erneuten Anlauf nach Italien nehmen zu können.
Ulli und Edis Handlungen sind von Naivität, wie sie Teenagern nun mal eigen sind, geprägt. Naivität ist und bleibt ein roter Faden der Handlung. Sie findet im Laufe der Handlung lediglich auf anderen Ebenen statt.
Gleichzeitig atmet man als Leser förmlich die Atmosphäre der 80er Jahre, als sich Ulli als Punk plötzlich Skinheads gegenübersieht, ein. Gleichzeitig wirken Momente, in denen über Schillinge und Lire diskutiert wird, nahezu nostalgisch. Auch ein Hauch von Philosophie darf nicht fehlen, als Ulli Edi erklärt, dass sie jeden Tag angeht, als sei es ihr letzter. Diese Einstellung wurde durch den frühen Tod der kleinen Schwester ausgelöst, der sie in jungen Jahren zweifellos geprägt hat. Neben diesen völlig verschiedenen Ansätzen verfügt der vorliegende Band über einige Momente, die fast übergangslos in den Plot eingebaut sind, so das Lesegefühl intensivieren, den Leser förmlich an die Handlung fesseln und nie erlauben, unaufmerksam zu werden. Dabei vernachlässigt Ulli Lust auch nicht humoristische Anmerkungen, indem sie sich über ihre eigenen Geographiekenntnisse lustig macht. So finden Ulli und Edi, nachdem sie sich im Dunkeln durch Wald und Morast gekämpft und gewühlt haben, zufällig einen Grenzstein. Typisch für die Intensität der Erzählung, die in dieser Form wohl nur von einer Autobiographie geboten werden kann, ist, dass man als Leser förmlich das Dunkel spürt und gemeinsam mit den beiden Protagonisten durch den Wald irrt.
Edi ist eine Nymphomanin, die mit jedem ins Bett geht. 1984 war AIDS noch nicht das Thema, das es heute ist.
Ulli und Edi wollen in Italien überwintern und sich nach Sizilien durchschlagen. Sie trampen und trotz aller Sprachbarrieren, die erst am Ende des Bandes abgebaut werden, gelangen sie immer weiter nach Süden. Hierbei greift Ulli Lust auf ein interessantes Stilmittel zurück. Das für Ulli und Edi unverständliche Italienisch wird in den Sprechblasen als eine Art Wellenlinie dargestellt, deren Inhalt für den Leser ebenso nicht nachvollziehbar ist. Natürlich machen sie viele Männerbekanntschaften und machen fast genauso viele sexuelle Erfahrungen, die aber zumindest für Ulli meist negativ verlaufen. Zwischen Ulli und Edi treten erste Konflikte auf, die allein schon darauf basieren, dass Ulli aus negativen Erfahrungen Lehren zieht, während sich Edi fortwährend die Welt schön redet. Dennoch sind sie auch aufeinander angewiesen, auch wenn sich die Rollen verschieben. Edi ist zwar die ältere, aber Ulli übernimmt mehr eine Art Führungsrolle, während sich Edi gleichzeitig an Ulli anlehnt. Über Rom, wo sie eine längere und relativ unbeschwerte Zeit verbringen, erreichen sie Palermo. Dort lernen sie Andreas kennen, der ein Junkie ist, und kommen selbst in Kontakt mit Drogen. Der dubiose Francesco bringt die Gruppe auseinander und sorgt dafür, dass sie sich an einem Treffpunkt verpassen. Ratlos kehrt Ulli nach Rom zurück und hofft, dass sie dort Edi und Andreas wieder treffen kann.
Wieder in Rom lernt Ulli Dieter und Marc aus Gambia kennen. Langsam beginnt sie die ersten Brocken italienisch zu lernen. Sie merkt jedoch, dass Rom für sie allein kein sicheres Pflaster ist. Sie reist wieder nach Palermo. Ulli Lust versäumt es nicht, auch zeichnerisch darzustellen, dass es nun für Ulli ungleich schwerer ist, sich allein durchzuschlagen, obwohl sie sich die Erfahrungen von Andreas angeeignet hat. Ullis Mimik wirkt nun ernster.
Auf Sizilien wird Ulli vergewaltigt. Man kann als Leser seinen Hut nicht häufig und tief genug ziehen, dass Ulli Lust um dieses Ereignis keinen Bogen macht, sondern es zwar zeichnerisch verfremdet, aber dennoch schonungslos, schildert. Unverkennbar ist, dass eine Frau in den 80er Jahren auf Sizilien längst nicht gleichberechtigt ist und primär dafür da ist, Männern zu dienen. Ulli lernt Heinz und Frankie kennen und kommt mit Frankie zusammen. Als sie Edi und Andreas wieder trifft, macht sie mit Frankie Schluss. Edi und Andreas sind in Palermo schon so etwas wie eine Institution. Sie haben keine Angst vor der Polizei, weil sie sich des Schutzes des Capos sicher sind. So geraten sie in die Kreise der Mafia, was ihnen fast zum Verhängnis wird. Insbesondere diese Kapitel sind nicht nur besonders intensiv, sondern auch unglaublich spannend erzählt. Sie rauben dem Leser den Atem, wobei Edis scheinbar grenzenlose Naivität, zu der sich nun ein handfestes Drogenproblem gesellt, unbeschreiblich ist. Dies führt auch zur Trennung von Ulli und Edi bzw. von Andreas und Edi. Als Ulli und Andreas von der Polizei festgenommen und abgeschoben werden, erkennt Andreas, dass auf die Mafia nun wohl schwerere Zeiten zukommen werden. In Rom geht Ulli zur österreichischen Botschaft. Dort erfährt sie, dass sie ihre Eltern als vermisst gemeldet haben und sie polizeilich gesucht wird. Dies wird ihr erst in diesem Moment auch bewusst.
Ulli und Andreas sind unfreiwillig Zeuge eines historischen Ereignisses geworden. Die Vormachtstellung der Mafia auf Sizilien beginnt zu bröckeln.
Mit Ende des Comics legt Ulli Lust noch einmal an Intensität zu, auch wenn das unglaublich erscheint. Sie fällt förmlich aus allen Wolken, als sie erfährt, dass sie polizeilich gesucht wird und insbesondere, warum sie gesucht wird. Die Rückkehr ins Elternhaus zeigt, dass sie wohl einige Zeit gebraucht hat, um wieder in ein anderes Leben zurückzukehren. Dies veranschaulicht Ulli Lust mit einem einzigen Panel, als sie Ulli nicht im Bett, sondern auf dem Boden schlafen lässt.
Dass Ulli Lust ihre Zeit in Italien so schildert, nötigt ihren Lesern jeden Respekt ab, denn sie tut dies schonungslos und jederzeit ohne Rücksicht auf ihre eigene Person. Bei dieser Schonungslosigkeit verwundert es nicht weiter, dass Ulli Lust Edis wirklichen Namen nicht enthüllt. Diese Graphic Novel ist eine Bereicherung für die Comicwelt und zeigt, dass Comics heute erwachsener sind denn je. Nicht umsonst hat Ulli Lust für Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens den Publikumspreis beim diesjährigen Comic-Salon in Erlangen gewonnen.