Handlung: Jean begeht seinen ersten Schultag. Seine Mitschüler kennt er nicht, da er an einem anderen Ort in den Kindergarten gegangen ist. Alain, einem Klassenkameraden, ergeht es ähnlich. Sie freunden sich an. Jean wird nervös, als er sich und den Beruf seiner Eltern vorstellen muss, aber er bewältigt diese Aufgabe. Nach der Schule wird Jean von Yvette an der Schule abgeholt. Es ist sein Kindermädchen und das seines jüngeren Bruders. Ihr Vater ist Chef einer Fabrik und kommt spät nah Hause. Beim Abendessen erinnert ihn Yvette an Jeans ersten Schultag. Das Mädchen aus der Nachbarschaft heißt Michele. Eigentlich dürfen sie nicht miteinander spielen. Sie tun es dennoch hin und wieder. Dabei liest Michele Jean eine Postkarte seiner Mutter aus Spanien vor. Jean verbringt einen Nachmittag bei Alain, der von seinen Eltern adoptiert wurde. Zu Jeans Überraschung sitzt Alains Vater in einem Rollstuhl und bemalt Zinnsoldaten. Alains Mutter kümmert sich um den Haushalt. In der Schule gilt Jean als Außenseiter, weil weder Fußball noch Murmel spielen seine Stärken sind. Außerdem darf er zuhause kein TV schauen und kann daher nicht in den Pausengesprächen mitreden. Jean und sein Bruder Paul besuchen ihre Großeltern. Dies tun sie äußerst ungern, weil ihre Großmutter eine schlechte Köchin ist und ihr Großvater Schweißfüße hat. Außerdem mögen sie die Freundinnen ihrer Großmutter nicht. Jean ist besorgt, als sie von ihrer Klassenlehrerin den Schulpsychologen vorgestellt bekommen. Er hat vor dem bärtigen Mann Angst. Seine Angst wächst, als er zu ihm in die Sprechstunde gerufen wird. Auch Paul hat Sehnsucht nach ihrer Mutter. Eines Nachts kann Jean nicht schlafen und beobachtet seinen Vater beim Fernsehen. Am nächsten Tag kann er in der Schule ausnahmsweise mitreden. Am Nachmittag liest ihm Michele eine weitere Postkarte seiner Mutter vor und wird dabei von ihrem Vater erwischt, der sie unsanft zurück ins Haus holt. Dabei vergisst sie die Postkarte, die Jean unter seinem Kopfkissen versteckt. Jean und Paul werden von ihrem Vater aufgefordert, ihre Wunschzettel zu schreiben. Die Brüder beschließen, den Weihnachtsmann zu fotografieren und lauern ihm auf. Als sie ihn fotografieren wollen, erschrecken sie vor dem Blitz so, dass sie die Augen schließen. Sie staunen, als dann ihr Vater vor ihnen steht. Natürlich ist das Polaroid Foto verwackelt. Lediglich die Schuhspitze ihres Vaters ist darauf zu sehen. Jean versteckt das Foto unter seinem Kopfkissen. Am nächsten Tag haben Michele und Jean Streit. Dabei sagt ihm Michele, dass seine Mutter tot ist und dass sie die Postkarten erfunden hat. Jean streitet das ab.
Fazit: Mit dem vorliegenden Band legen Regnaud und Bravo ein kleines, feines Meisterwerk vor. Die Autoren schildern einen typischen ersten Schultag eines Erstklässlers und dies mit allen Sorgen. Dies beginnt mit der Suche nach einem Freund und endet mit der Vorstellung des Berufs seiner Mutter, über die er eigentlich nichts weiß. Die Rolle der Mutter hat längst Yvette, das Kindermädchen, eingenommen. Jean mag sie, weil sie so gut kocht und es versteht, einen leckeren Kakao zuzubereiten. Dies sind natürlich Äußerlichkeiten, wie sie ein Junge in Jeans Alter angeben würde. Tatsächlich hat er Yvette längst als Mutter akzeptiert und sagt ihr dies auch in einem der vielen emotionalen Momente dieser Story. Früh dürfte der Leser erkennen, dass nicht mit einer Rückkehr von Jeans Mutter zu rechnen ist. Dabei ist es anfangs noch unklar, ob sie gestorben ist oder ihre Familie verlassen hat. Im Laufe der Handlung erkennt man als Leser aber rasch, dass sie verstorben ist, weil sie zumindest andeutungsweise von sämtlichen Nebencharakteren als äußerst positiv dargestellt wird und sowohl Jean als auch Paul immer wieder bedauert werden. Wunderbar gelungen ist auch die Schilderung der Besuche aus Sicht Jeans. Der unangenehmen Atmosphäre beim Besuch der eigenen Großeltern, die Jean an den mangelnden Kochkünsten der Großmutter und den Schweißfüßen des Großvaters sowie an den Freundinnen seiner Großmutter festmacht, steht der entspannte Besuch bei der Großmutter väterlicherseits gegenüber, bei der sie sogar fernsehen dürfen. Auch das harmonische Elternhaus seines Freundes Alain spielt eine nicht unwichtige Rolle, denn Jean lernt, dass sich ein Junge auch bei Adoptiveltern wohl fühlen kann. Eine zentrale Rolle nimmt der Abschnitt um den Schulpsychologen ein. Jean möchte ihm eigentlich nichts erzählen, aber er tut es im Gespräch und während des Rorschachtests dennoch und flüchtet sich schließlich während des Gesprächs über seine Mutter in eine abenteuerliche Geschichte. Bereits beim Vorlesen der ersten Postkarte wird klar, dass die Texte von Michele erfunden sind, denn ein Erwachsener würde sich nicht so ausdrücken. Erst im Streit zwischen den Kindern offenbart Michele Jean, dass sie die Postkarten erfunden hat. Typisch für Jean und sein vollkommen unterentwickeltes Verhältnis zu seinem Vater ist, dass er ihm nicht den wahren Grund für den Streit erzählt. Ebenso wagt es sein Vater offenbar nicht, seinen Söhnen zu sagen, dass ihre Mutter verstorben ist. Damit greifen Regnaud und Bravo bei aller erzählerischer Leichtigkeit ein heißes Eisen an. Ihnen gelingt es dabei, eine Comicerzählung mit Anspruch vorzulegen, so dass Carlsen völlig zu Recht diesen Comic als Graphic Novel auszeichnet.
Emile Bravo & Jean Regnaud: Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen, Carlsen Comics, 120 Seiten, HC, 17,90 €